TIB → Vor 44 Jahren haben Sie Ihre Ausbildung zur Buchbinderin begonnen, seit zwölf Jahren leiten Sie nun die Buchbinderei der TIB und bilden dort auch aus. Wie sehr haben sich der Beruf und die Aufgaben in dieser Zeit verändert?
Thiele → Unsere Aufgabe, den Bestand der Bibliothek durch Neubindungen und Reparaturen zu sichern, hat sich bis heute nicht geändert. Auch die Arbeitsweisen sind die gleichen geblieben. Aber im Laufe der Jahre sind natürlich die Maschinen moderner und sicherer geworden. Da sind wir in der TIB auf dem neuesten Stand und konnten unsere Maschinen und Geräte immer den Anforderungen anpassen. Die Schneidemaschine hat ein Touch-Display; die Schneidprogramme können direkt abgerufen werden. Wir schreiben die Signaturen nicht mehr wie früher auf der Schreibmaschine: Der Barcode wird eingescannt, am Computer bearbeitet und von einem Thermotransfer-Drucker ausgedruckt.
Was sich sehr wohl geändert hat, sind die Materialien. Verschiedene Bezugspapiere werden heute nicht mehr hergestellt und von der ehemals großen Farbpalette gibt es nur noch drei Farben: Schwarz, Grau und Beige. Das Textpapier ist heute beschichtet, sodass die Seiten der Bücher Flüssigkeiten nicht so schnell aufnehmen – prinzipiell eine gute Eigenschaft. Aber ein Nachteil für uns: Die Seiten nehmen auch den Leim schlechter an. Wir müssen jetzt bei den meisten Büchern die Rücken aufrauen, um die Oberfläche zu vergrößern, damit der Leim besser anhaftet und die Seiten halten können. Trotz dieser Veränderungen ist der Alltag eines Handwerksbuchbinders heute immer noch vergleichbar mit dem vor 100 Jahren.
Open Access, der freie Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen, ist eine Voraussetzung für schnellen wissenschaftlichen Fortschritt. Die meisten Forschenden, wissenschaftlichen Einrichtungen und Förderer sind sich einig: Open Access sollte der Normalzustand des wissenschaftlichen Publizierens sein. Der Weg dorthin ist jedoch noch weit. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert deshalb Projekte, die die Open-Access-Transformation beschleunigen.
Drei von der TIB und verschiedenen Partner:innen eingereichte Vorhaben werden vom BMBF gefördert, um zum Wandel des Publikationswesens beizutragen: der Empfehlungsservice B!SON für qualitätsgesicherte Open-Access-Zeitschriften, das Projekt KOALA für gemeinschaftliche Lösungen zur Open-Access-Finanzierung und OPTIMETA zu Stärkung des Open-Access-Publikationssystems durch die Einbindung offener Zitationen und Geoinformationen.
In jeder wissenschaftlichen Disziplin entstehen Daten – durch Befragungen, Experimente, Messungen oder die Auswertung historischer Quellen. Diese Forschungsdaten können ganz verschiedene Formen haben: Tabellen, Textdokumente, Fotografien, Videos, Datenbanken und vieles mehr. Sie sind eine wertvolle Ressource für die Wissenschaft. Denn offene und frei zugängliche Daten sind wahre Datenschätze. Sie können von anderen Forschenden genutzt werden, machen Forschungsergebnisse transparent und nachvollziehbar und sparen sehr viel Geld, Zeit und Arbeit.
Die TIB engagiert sich seit vielen Jahren in diesem Bereich, um weltweite Standards zu definieren. Zum Beispiel bei der Vergabe von Digital Object Identifiern (DOI), eindeutigen Identifikatoren für Forschungsdaten. Und das mit Erfolg: Denn was die ISBN für Bücher ist, ist der DOI inzwischen für Forschungsdaten und andere digitale Objekte.
→ insgesamt von DataCite vergebene DOI-Namen: 35,9 Mio.
→ 2021 von DataCite vergebene DOI-Namen: 5,9 Mio.
→ davon vom TIB DOI Konsortium registrierte DOIs: 133.794
→ Konsortialmitglieder im TIB DOI Konsortium: 112
Genau das macht die TIB mit dem neuen Format „WAS, WENN ...?“
Unter waswenn.tib.eu gibt es kurze Einleitungen zu verschiedenen TIB-Themen: angefangen beim verbesserten Wissensaustausch durch Wissensgraphen über die Bedeutung von Big Data in der Medizin und Datenschätze in der Forschung bis hin zu der Frage, wie digitale Daten für die nächsten tausend Jahre zugänglich gemacht werden können.
TIB → Für Bibliotheken spielen Lizenzen eine besondere Rolle, denn neben den tausenden Büchern im Regal gibt es immer mehr Datenbanken, elektronische Zeitschriften und E-Books. Verraten Sie uns doch, was diese Medien mit dem Thema Lizenzen zu tun haben.
Pöche → Wenn man ein gedrucktes Buch oder eine gedruckte Zeitschrift kauft, ist von vornherein klar geregelt, was man damit als Bibliothek machen darf. Bei elektronischen Medien sieht das hingegen anders aus. Hier erwirbt man in erster Linie Nutzungsrechte und diese müssen in einer Lizenz – also einer Vereinbarung zwischen dem Rechteinhaber, in der Regel Verlage, und der Bibliothek – bestimmt und fixiert werden.
TIB → Und was genau sind dabei Ihre Aufgaben, die Ihrer Kolleg:innen und der TIB?
Pöche → Die Aufgabe besteht in dem Abschluss dieser Lizenzen mit Verlagen und Fachgesellschaften. Dafür müssen wir Angebote einholen, Kosten in Relation zu eingeräumten Nutzungsrechten setzen, Verträge prüfen und natürlich auch immer wieder über Verbesserungen verhandeln. Da wir nicht nur Universitätsbibliothek, sondern auch Zentrale Fachbibliothek sind, haben wir einen ganz speziellen Bedarf hinsichtlich der Nutzungsrechte – das macht die Lizenzabschlüsse neben der schieren Menge und den vielen Anbietern aus verschiedenen Teilen der Welt so kompliziert.
Das alles macht natürlich nicht das Referat Lizenzen allein, sondern in enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Teams aus dem Bereich Erwerbung und Katalogisierung.
TIB → Rückblickend gesehen – wie hat sich die Bedeutung von Lizenzen im Bibliotheksalltag verändert? Und noch interessanter: Wie wird sie sich in den kommenden Jahren entwickeln und welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit der TIB?
Pöche → Print ist zumindest im Bereich der TIB-Fächer ein auslaufendes Modell. Die Anbieter setzen inzwischen oft ausschließlich auf elektronische Produkte, die Kundinnen und Kunden wünschen digitale Inhalte und auch die TIB hat eine E-Preferred-Strategie. Wir haben die Zeiten, als es eine digitale Version als Bonus zum Kauf eines Printexemplars dazu gab, schon länger hinter uns gelassen. Der Erwerbungsprozess ist dabei deutlich anspruchsvoller geworden und auch die Anforderungen an das Personal sind gestiegen. Erhöhte Komplexität gibt es auch hinsichtlich der Bereitstellung von Inhalten. Damit jede und jeder in der Bibliothek weiß, was man mit dem jeweiligen E-Book oder der elektronischen Ausgabe einer Zeitschrift machen darf, müssen die Lizenzinformationen, also die Nutzungsrechte, dokumentiert und kommuniziert werden.
Um noch einmal den Vergleich mit Print aufzunehmen: Wenn man 100 gedruckte Bücher kauft, gelten für alle Bücher die gleichen Nutzungsmöglichkeiten. Wenn man 100 E-Books erwirbt, kommen mit etwas Pech 100 unterschiedliche Lizenzvereinbarungen mit variierenden Nutzungsrechten dabei heraus.
Der Blick nach vorn ist extrem spannend. Die Open-Access-Transformation hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Die Zahl der frei verfügbaren Zeitschriften, Konferenzberichte und auch Bücher wird stetig steigen. In der Folge wird der Bedarf an Verlagslizenzen wieder sinken, wenn auch nicht ganz verschwinden. Es werden noch lange Produkte existieren, insbesondere bestimmte Arten von Datenbanken, die nicht von der Open-Access-Transformation berührt werden und weiterhin lizenziert werden müssen.
Und selbst wenn die Anzahl der Lizenzverhandlungen irgendwann abnimmt, wird es, solange es kommerzielle Anbieter gibt, einen Bedarf an Verhandlungen mit diesen geben – dann eben seltener über Lizenzen, dafür umso häufiger über Dienstleistungen im Publikationsprozess und deren Finanzierung.
Die Open-Access-Transformation oder besser das gewünschte Ergebnis des Prozesses hat natürlich nicht nur Auswirkungen auf den Lizenzbereich, sondern betrifft die TIB insgesamt. Die freie Verfügbarkeit von Fachinformationen schafft ganz neue Bedarfe bei den Forschenden, auf die die TIB mit einer stärkeren Ausrichtung auf Dienstleistungen reagieren muss
Zur Encyclopaedia Cinematographica gehören circa 2.000 wissenschaftliche ethnologische Filme vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er-Jahre, die kulturelles Brauchtum wie Musik und Tanz, Religion sowie Heilkunde und vieles mehr zeigen. Zur Sammlung gehört neben den Filmen umfangreiches Begleitmaterial: 300 Aktenordner mit Redaktions- und Produktionsakten, Begleitpublikationen in mehr als 100 Aktenordnern, 3.500 lose Hefte sowie ein Fotoarchiv mit hunderten Fotos, Negativen und Dias. „Die Begleitmaterialien sind wirklich etwas Besonderes, sie enthalten sozusagen das Making-of der Filme und damit wichtige Informationen für ein besseres Verständnis der Filme. Begleitmaterialien und Filme gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille“, erklärt Miriam Reiche, Restauratorin und Koordinatorin Bestandserhaltung an der TIB.
Derzeit ist die Nutzung der Begleitmaterialien nur sehr eingeschränkt möglich, da die Akten durch die jahrzehntelange nicht bestandsgerechte Aufbewahrung sehr fragil sind und nur unter strengen Auflagen eingesehen werden können. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien fördert nun ein Projekt, das diese Materialien durch Umverpackung vor weiteren Schäden schützen soll: Sie werden „entmetallisiert“ – Büro- und Heftklammern, die das Papier schädigen, werden entfernt – und in archivgerechte Verpackungen umgebettet. „Das ist ein erster Schritt, um Forschenden diese kulturhistorisch wichtigen Materialien zugänglich zu machen“, freut sich Thomas Bähr, Leitung Bestandserhaltung und Langzeitarchivierung an der TIB.
Die Filme der Encyclopaedia Cinematographica wurden bereits digitalisiert und sind im AV-Portal der TIB verfügbar.
Wie berechnet man den Sauerstoffgehalt von Wasser? Wie arbeitet die Europäische Union? Diese und viele weitere Fragen werden in unzähligen Videos auf verschiedenen Internet-Plattformen beantwortet, zu deren prominentesten Vertreterinnen YouTube zählt. Doch wie nutzen Menschen solche Lernvideos eigentlich? Wissenschaftler:innen des Leibniz-Instituts für Wissensmedien (IWM), des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) sowie der TIB haben in einem interdisziplinären Forschungsprojekt erste Hinweise darauf gefunden, wann und warum Nutzer:innen von Online-Videoplattformen die Pausenfunktion nutzen.
Mit authentischen Video-Nutzungsdaten des TIB AV-Portals untersuchten die Forschenden, wann und vor allem warum Nutzer:innen Lernvideos stoppen. Das Ergebnis: an besonders komplizierten Stellen sowie zwischen verschiedenen inhaltlichen Sequenzen. Die Erkenntnisse können bei der Konzeption von Lernvideos berücksichtigt werden: Durch das automatische Setzen von Pausen oder das Einblenden von Verständnisfragen an entsprechenden Stellen im Video können komplexe Inhalte für die Nutzer:innen verständlicher dargestellt werden.